Martha Musils dritter Band (1943)

Walter Fanta: Editionsgeschichte, in: Robert Musil Handbuch, S. 800.

{1} Den ersten Versuch, RMs Nachlass zugänglich zu machen, unternahm unmittelbar nach seinem Tod seine Witwe Martha. Lejeune teilte sie mit, sie wolle wie die Frau Dostojewskis „die Bücher ihres Mannes im Selbstverlag herausgeben“ [24.5.1942]. Bis zu ihrem Tod 1949 verfolgte sie, von Genf, Philadelphia und Rom aus, das Ziel einer Gesamtausgabe unter Berücksichtigung des zu Lebzeiten Gedruckten und großer Teile des Nachlasses. Damit wollte sie u.a. die Manuskripte sichern. Unmittelbar nach Musils Tod, mitten im Krieg, schien als Teilziel nur ein Fortsetzungsband des MoE aus dem Nachlass realistisch. 1943 erschien in einer Auflage von 1.000 Stück in Lausanne Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Dritter Band. Aus dem Nachlass herausgegeben von Martha Musil mit folgenden Materialien:

  • Kap. 1–8 = Druckfahnen 39–46
  • Kap. 9–14 = Reinschriftmappe 47–52
  • Kap. 15–24 = Druckfahnen 49–56
  • Ausgewählte Kapitel aus dem Manuskript des Schlussteils

{2} Die Einführung der Bandzahl 3, die Änderung der Kapitelzählung und das Weglassen der Fahnenkapitel 47–48 unter Beibehaltung der Fahnenkapitel 49–56 stellen selbstbewusste editorische Schritte dar. Besonders trifft dies auf die 16 ausgewählten Kapitel aus dem Schlussteil zu. Die Herausgeberin versucht nicht, anhand von Texten aus dem letzten Stadium eine dominante oder letztgültige Intention des Autors bezüglich des Romanschlusses zu rekonstruieren. Die Zusammenstellung von Manuskripten bietet vielmehr primär handlungsorientierte, leserfreundliche Ausschnitte aus einem breiten Panoptikum von Textentwürfen, ohne eine bestimmte Richtung vorzugeben, wie sich der Schlussteil des Romans hätte entwickeln können. Der Ausgabe war keine große Wirkung beschieden, die Kriegs- und Nachkriegszeiten ließen das nicht zu. Dennoch kommt ihr, ausgeführt mit Sorgfalt und Akribie, editionsgeschichtlich größte Bedeutung zu, zudem leiten sich die englischen und französischen Übersetzungen Kaisers und Wilkins’ sowie Jaccottets direkt von ihr ab. Martha ist als Treuhänderin des literarischen Erbes ihres Mannes höchster Respekt zu zollen, vor allem für die Bewahrung und erste Inventarisierung des Nachlasses in einer schwierigen Zeit und Lebenssituation. Als der dem Autor nächststehende Mensch besaß sie intime Kenntnisse seines Schreibens und der Werkgeschichte. Musil hat sie verschiedentlich sogar als Mitautorin bezeichnet (vgl. den Brief an Toni Cassirer, 17.11.1933, Br I, 594).