Korrespondenz 1895 – Verzeichnis
Alfred Musil an Robert Musil

Teplitz, Montag abend

Mein lieber Robi!
Wir waren heute viel im Geiste bei Dir und hoffen, daß Deine kleine Erkältung nicht von weiteren Erfolgen begleitet ist und Du Schnupfen und Husten recht bald wieder verlieren wirst. Halte Dich daher tunlichst und vergesse ja nicht Dir Watte in die Ohren zu geben, wenn Du ins Freie gehst; auch gurgle fleißig!
Wir kommen übermorgen Mittwoch Vormittag 10h zu Dir, um Abschied zu nehmen, da wir Donnerstag Früh 8h abreisen wollen; erwarte uns daher im Sprechzimmer bei schlechtem Wetter oder in der nächsten Nähe des Parkthores bei gutem Wetter. – Heinrich reiste heute 4 1/2h ab; ich begleitete ihn zur Bahn und traf am Rückwege Paul Heissig, der sich kurz vorher von seinem Vater verabschiedet hatte; Paul fühlt sich hier noch sehr einsam, da er keinen seiner Kameraden kennt; er läßt Dich vielmals grüßen; morgen früh beginnt bei ihnen der Dienst. –
Auch von Onkel Heinrich soll ich Dich noch herzlich grüßen, ebenso von Großmama, die uns heute schrieb; es geht ihr Gottlob recht gut und kehrt sie auch in dieser Woche nach Linz zurück. Fritz Heissig ist auch gestern nach Wien eingerückt. – Der Schuster wird morgen um 4h Nachmittag die beiden Paare Schuhe abliefern; probiere sie noch morgen oder Mittwoch früh, damit Du mir sagen kannst, ob sie Dir auch passen. – Solltest Du die Schrift über Franklin noch nicht gelesen haben, dann lese sie noch morgen abend und nehme sie Mittwoch 10h mit, weil wir dieselbe Großmama retournieren müssen.
Hier ist´s sehr stille und einsam! Nun behüt Dich Gott, mein Schneckerl lerne tüchtig, grüße Deine lieben Kameraden und sei tausendmal geküßt von Mutting und Deinem
Papa. –

Hermine Musil an Robert Musil

Mein Liebling!
Deine Korrespondenzkarte hat uns wieder über Dein Befinden beruhigt und so hoffen wir, daß bis Weihnachten die Nasenbeschwerden erträglich bleiben werden. Ich habe die ganze Woche geräumt, geputzt, um zu Soferls Empfang alles am Glanze zu haben, Montag dürfte sie ankommen, wir freuen uns schon herzlichst auf ihre Anwesenheit. Papa hat heute Tante Landsteiners Bild vollendet und ist dasselbe sehr gut ausgefallen, Hermine soll es als Weihnachtsgeschenk erhalten. Wir haben nun schon sechs Grad Kälte, doch noch keinen Schnee, also noch kein Winterbild; ich liebe den Winter und je tiefer sich die Bäume unter der Last des Schnees beugen, desto traulicher ist es im geheizten Zimmer. In Linz hat es schon tüchtig geschneit und jetzt ist es so warm, daß Onkel Julius im Sommer-Überzieher ausgeht. – Tante Gusti ist bei Großmama in Linz, Onkel Moritz ist leider wieder nicht ganz normal und steht in ärztlicher Behandlung, es beunruhigt mich recht sehr, daß er sich nicht erholen kann, offenbar hat ihm die heurige Badekur nicht viel genutzt. Tante Landsteiner verläßt uns leider so gegen den 20., um nach Graz zu Hermann zu gehen; im Laufe des nächsten Jahres dürfte Hermann nach Galizien versetzt werden, er war 12 Jahre in Pardubitz, somit das Wandern nicht gewöhnt. Bei Geitners war ich schon viele Wochen nicht, Hanni kommt ab und zu, hat aber in ihrer neuen Wohnung noch nicht festen Fuß gefaßt und ist weniger mobil denn je. Ich freue mich schon innigst auf den Weihnachtsurlaub, drei Wochen trennen uns nur mehr, mein Kind, die Zeit vergeht doch riesig schnell und nachdem wir nun mit den Urlauben rechnen, so wünschen wir ihr stets Flügel. Diesmal läßt unser Ausweis lang auf sich warten, wahrscheinlich bekommen wir ihn mit dem Sonntagsbrief. Morgen ist wieder ein Sonntagerl für Zuckerl und fürs Schneckerl, unterhaltet Euch gut, seid brav und solid und macht dem Institut und dem Rock des Kaisers Ehre. – Letzthin hörten wir, daß Hanns Brecher gar nichts lernen soll und wieder nahe daran ist, ausgeschlossen zu werden; für seine Eltern ist dies wohl eine große Sorge, um so mehr, als der Bursche talentiert, somit nur faul ist. Leb wohl mein Jung, sei du in Liebe unser, sei von allen gegrüßt und in innigster Liebe geküßt von Deinem treuen, Dich zärtlich liebenden
Mutterl