Korrespondenz 1906 – Verzeichnis
Alfred KeRR an RM
Datum: 5. Februar 1906
Ort: Berlin / Berlin
Typ: Brief
Archiv: Literaturmuseum Prag
–> Alfred Kerr
Lieber Herr Musil!
Ich bedaure sehr, daß Sie mich verfehlt haben. Ich bin jetzt so vielfältig in Anspruch genommen, daß von regelmäßigem Zuhausesein noch weniger die Rede ist; ich kann also nichts Allgemeines bestimmen, bitte Sie aber diesen Mittwoch um 3 Uhr, wenn Sie Zeit haben, mich aufzusuchen oder (wenn Sie vorher Korrektur-Bogen bekommen) sie mir durch die Rohrpost zu schicken. Die Rücksendung ist nicht so eilig, wie es die Druckereien gewöhnlich hinstellen. Ich würde gern Ihr Buch vor dem Druck durchsehn und Sie, wenn auch in Hast und Zerstreutheit, sprechen.
Herzlich grüßend
Ihr
Kerr
RM an Wiener Verlag
Datum: 21. Februar 1906
Ort: Berlin / Wien
Typ: Postkarte
Archiv: Wiener Stadtbibliothek
–> Wiener Verlag
Euer Wohlgeboren!
Erlaube ich Ihnen höflich mitzuteilen, daß ich bisher die Hälfte des Manuskripts korrigiert an die Druckerei rückgesandt habe und zwar bereits vor Erhalt Ihrer Karte. Die Ihnen gewordene Mitteilung von „wochenlangem“ Liegenlassen erscheint mir daher ein wenig ungeheuerlich. Auch befinden sich keine ungedruckten Teile des Manuskriptes in meinen Händen, sondern nur die den Bürstenabzügen entsprechenden. Im Übrigen werde ich mich bemühen, Ihrem Wunsche nach rascher Erledigung möglichst nachzukommen.
In vorzüglicher Hochachtung
Robert Musil
RM an Wiener Verlag
Datum: 1. Mai 1906
Ort: Berlin / Wien
Typ: Postkarte
Archiv: Wiener Stadtbibliothek
–> Wiener Verlag
Datumsangabe im Briefkopf (30.4.1905) aufgrund des Berliner Poststempels und des Wiener »Bestellt«-Stempels korrigiert; vgl. Frisé 1981, 2, 9.
Euer Wohlgeboren!
Ich möchte Sie bitten, mir möglichst bald nach Erscheinen der „Verwirrungen“ ein Exemplar für Dr. Kerr zugehen zu lassen. Eventuell – wenn es geht – noch vor der öffentlichen Ausgabe, damit ich Zeit habe, es binden zu lassen.
Hochachtungsvoll
Robert Musil
RM an Johannes von Allesch
Datum: August 1906
Ort: Graal / Berlin
Typ: Postkarte
Archiv: Privatbesitz
–> Johannes von Allesch
Lieber Allesch!
Meine Adresse ist: Ostseebad Graal, Waldhotel.
Möge Ihre Reise unter einem guten Stern geschehen.
Herzlichst
Ihr Musil
RM an Wiener Verlag
Datum: 7. September 1906
Ort: Pörtschach / Wien
Typ: Postkarte
Archiv: Wiener Stadtbibliothek
–> Wiener Verlag
Euer Wohlgeboren!
Da Sie jetzt wohl bald die „Verwirrungen“ herausgeben dürften, ersuche ich, mir den näheren Zeitpunkt mitzuteilen, damit ich mich danach richten kann.
Ich bin bis 13. des Monats in Pörtschach am/See, Etablissement Werzer, ab 20. wieder Berlin West, Lützowstraße 106.
Hochachtungsvoll
Robert Musil
RM an Johannes von Allesch
Datum: 9. September 1906
Ort: Pörtschach / Amsterdam
Typ: Brief
Archiv: Privatbesitz
–> Johannes von Allesch
„Vielen fällt es leichter sich eines Genusses ganz zu enthalten als ihn durch das richtige Maß zu regeln“ sagt – in seiner erbaulichen Schrift „Über das Gut der Ehe“ – der heilige Augustinus und der heilige Benediktus, in einer Klosterregel für seine Mönche, schreibt: „Wer Du auch seist, erfülle zuerst mit Christi Hilfe zur Vorübung das Geringe“ …
Bedarf es – teurer Bruder in Christo Jesu – weiterer Worte, um eine Angelegenheit zu meinen Gunsten zu entscheiden, in der so erleuchtete Kirchenlehrer für mich sprechen?
Denn ich habe gehandelt nach dem Auftrage des heiligen Benedikt und das Wort des heiligen Augustin bezeugt mir, daß ich des Schwereren und daher Verdienstvolleren mich unterfing …
Doch nun erlauben Sie mir, lieber Freund, daß ich abschminke, und in kurzen bürgerlichen Worten und ohne Stil das Übrige erledige.
Denn es geht mir so schlecht, daß Sie auch nicht die heidnische Ruhe der Diktion, deren Sie sich mit soviel Erfolg in Ihrem Berufe befleißigten, von mir erwarten dürfen.
Ich habe mit großem Vergnügen von Ihrem gelungenen Unternehmen gehört und verglich es neidvoll mit dem Leben, das ich hier das meine nenne.
Dementia rustica. Zwar Luft und Wasser sind ewig. Rudern, Braunwerden, Tennisspiel und sehr weit im See draußen ganz allein zu schwimmen ist schließlich auch eine Form, die dem Leben für einige Zeit etwas Gesundes und Mutiges zu leihen vermag, und wenn man nicht vergißt, das entzückend Unmoralische dieses kleinen Ortes für sich zu nutzen, so wäre mit all dem ein Stil gefunden, – frech-vital und andächtig-vital, wie zu dosieren man’s dann gerade belieben würde.
Allein diese Dinge – und die Unmoral überhaupt nicht – genieße ich hier in einem ziemlich matten Kompromiß, nachdem ich nicht genügend meinen Wünschen überlassen bin.
So schön es hier ist, fällt es mir daher doch nicht schwer nach Berlin zurückzukehren und dies wird ungefähr am 20. sein.
Dort erwartet mich die Arbeit wie eine verlassene Familie den pflichtvergessenen Ernährer, und da ich hier fast gar nichts tat, bangt mir sehr davor.
Es wäre mir eine große Freude, Sie in der Öde dieser nächsten Zukunft zum Kameraden zu haben und bitte ich Sie, mich von dem – wie ich herzlichst wünsche guten – Ausgang Ihrer Angelegenheit gleich zu verständigen.
Meine Adresse ist noch die gleiche, West, Lützowstraße 106; von hier reise ich in einigen Tagen ab und verbringe die Zwischenzeit in Brünn. Grüßen Sie Fräulein Grunewald herzlichst von mir und lassen Sie uns alle auf ein baldiges Wiedersehen hoffen.
Ihr Freund
Musil
RM an Wiener Verlag
Datum: 2. Oktober 1906
Ort: Berlin / Wien
Typ: Brief
Archiv: Wiener Stadtbibliothek
–> Wiener Verlag
Euer Wohlgeboren!
Verbindlichen Dank für Ihre Karte, die ich leider erst heute beantworten kann, weil ich meine Wohnung wechselte und vorher nicht in der Lage war, Ihnen meine neue Adresse anzugeben. Sie ist: West, Hohenstaufenstrasse 50.
Auf Ihre liebenswürdige Anfrage muß ich zu meinem Bedauern verneinend antworten. Ich habe allerdings zwei Arbeiten ziemlich weit schon vorbereitet, muß jedoch vorher eine wissenschaftliche Abhandlung fertig stellen, was mich wohl den Rest des Jahres kosten wird. Mit dem neuen Jahre will ich dann an die Ausarbeitung der literarischen Pläne gehen. Wie ich mich aber kenne, wird es viel Zeit brauchen, bis ich dies in endgültiger Form getan habe. Zumindest möchte ich mich nicht an einen Termin binden.
Den Vorteil einer rascheren Aufeinanderfolge sehe ich wohl ein, fürchte aber die damit verbundene Gefahr übereilter Arbeit. Sobald ich mich der Fertigstellung nähere, werde ich mir erlauben, Sie davon zu verständigen.
Ich möchte Sie nun noch um Zusendung meiner Exemplare ersuchen; Ihrer Mitteilung nach muß das Buch ja jetzt schon erscheinen; allerdings sah ich hier noch nichts davon. Sollte sich an dem mir gegebenen Bescheid etwas geändert haben, so bitte ich selbstverständlich um (umgehende) Mitteilung.
In vorzüglicher Hochachtung
Robert Musil
RM an Wiener Verlag
Datum: 25. Oktober 1906
Ort: Berlin / Wien
Typ: Brief
Archiv: Wiener Stadtbibliothek
–> Wiener Verlag
Sehr geehrter Herr!
Ich las in der Buchhändlerzeitung die Anzeige meines Buches und nehme daher an, daß meine letzte Anfrage weiter keiner Antwort bedarf. Da ich aber einige Tage bevor das Buch in den hiesigen Handlungen ausgelegt wird, ein Exemplar Herrn Dr. Kerr überreichen will, bitte ich Sie um genaue Mitteilung, damit dies weder zu früh noch zu spät geschieht.
Ich kenne mich in den bezüglichen Gepflogenheiten zu wenig aus.
In vorzüglicher Hochachtung
Robert Musil
RM an Johannes von Allesch
Datum: 31. Oktober 1906
Ort: Berlin / Berlin
Typ: Brief
Archiv: Privatbesitz
–> Johannes von Allesch
Lieber Allesch!
Ich mache mir Vorwürfe, bei unserem letzten Beisammensein auch für einen Scherz ein wenig weit gegangen zu sein. Da trifft es sich gut, daß ich Ihnen gerade jetzt Buch und Bild übersenden kann und Sie bitten darf, beide – wenn sie auch als Wiedergabe meiner Persönlichkeit höchst unvollkommen sind, doch als Zeichen meiner aufrichtigen Freundschaft entgegenzunehmen.
Stets der Ihre
Musil
RM an Paul Wiegler


Datum: 21. Dezember 1906
Ort: Berlin / Leipzig
Typ: Briefentwurf
Archiv: ÖNB
–> Paul Wiegler
Lieber Herr Wiegler!
… die heute erschienene Kritik Kerrs lege ich bei: Ich fühle mich ihm unendlich zu Dank verpflichtet. Und vieles scheint mir in seiner Kritik weit besser als in meinem Buche. Aber jedenfalls waren auch für mich die Vorstellungen des Helldunkels, des dämmernden Hineintreibens und so weiter bestimmend. Das war die Atmosphäre, in der ich das Geschehene sah, seine Stimmung.
Daneben das Problem der intellektuell moralischen Verwirrung. Ein Zusammenhang zwischen Moralischem und lntellektuellem. Eine Vivifizierung intellektueller Zustände und so weiter. Ob ich das deutlich machte oder nicht, ist eine Sache des Könnens; darin will ich Sie nicht beeinflußen.
Aber eines liegt mir sehr am Herzen. Ich will nicht die Päderastie begreiflich machen. Sie liegt mir von allen Abnormitäten vielleicht am fernsten. Zumindest in ihrer heutigen Form.
Daß ich gerade sie wählte, ist Zufall, liegt an der Handlung, die ich gerade im Gedächtnis hatte. Statt Basini könnte ein Weib stehen und statt der Bisexualität Sadismus, Masochismus, Fetischismus – was immer, das noch einen Zusammenhang mit Regungen, die auch nur streifen, erkennen läßt, einen Zusammenhang, der durch das Pathologische noch nicht so überdeckt ist, wie in schweren Fällen.
Meine Meinung ist es, daß aus dem gezeichneten intellektuellen Problem und aus der Stimmung, in die es hineingestellt ist, das Verschiedenste entstehen könne, je nach den zufälligen Umständen.
Wie Sie wissen, beschäftige ich mich auch wissenschaftlich mit Psychologie (allerdings noch nicht zu der Zeit, da ich das Buch schrieb) und ich muß sagen, daß ich etwa in den schönen Berichten der französischen Psychiater jede Abnormität ebensogut nachempfinden kann und darstellen zu können glaube, wie die gerade von mir gewählte, verhältnismäßig landläufige. Darin liegt allerdings ein psychologisches Problem, aber jedenfalls ist es so, daß ich ganz mich in solchen Gefühlskreis hinein versetzen kann, ohne in meinem Wollen ernstlich davon berührt zu werden.
Wenn Sie diese – für das Schaffen wie ich glaube charakteristische – Tatsache stark unterstrichen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Ein zweites ist, daß ich nicht Psychologie in allen ihren Finessen geben will. Davon fehlt viel in dem Buche. Ich will nicht begreiflich sondern fühlbar machen. Das ist glaube ich im Keim der Unterschied zwischen psychologischer Wissenschaft und psychologischer Kunst.
Letztlich noch die Bitte, daß Sie nichts von Weißkirchen erwähnen. Der Zusammenhang mit diesem Institut, in dem ich aufwuchs, ist ein äußerlicher. Die Erinnerung lieferte mir nur das Motiv und ich bemühte mich, möglichst zu verschleiern. Tatsächlich stimmen auch selbst Äußerlichkeiten nicht überein. Immerhin sind viele solche nur wenig verändert, besonders 2 Namen, und es ist mir sehr unangenehm, daß man real interpretiert, weil gerade das Kompromittierende zum großen Teil erfunden ist.
Die Rundschau ist leider bis Februar komplett und so weiter…
Musil
Paul Wiegler an RM
Datum: 23. Dezember 1906
Ort: Leipzig / Berlin
Typ: Brief
Archiv: Literaturmuseum Prag
–> Paul Wiegler
Lieber Herr Musil!
Meine herzlichste Gratulation zuvor!
Ich muß Sie wegen meines Schweigens vielmals um Entschuldigung bitten, aber es hatte keinen anderen Grund als den, den Sie selbst durch Ihren Nachsatz schufen. Und seien Sie bitte nicht ungehalten, daß ich Ihnen heute allerdings über einen Gesamteindruck Ihres Buches noch nichts berichten kann. Ich war hier zu sehr im Drange, und hiezu kommt, daß meine Übersiedlung nach Berlin unmittelbar bevorsteht. Ab 1. Januar werde ich Feuilletonist der „Berliner Zeitung am Mittag“ sein. Sie begreifen, wie groß meine Belastung und meine Eile ist. Ich werde mich in wenigen Tagen melden! Nehmen Sie bitte inzwischen meine aufrichtigen Grüße an und seien Sie versichert der Ergebenheit
Ihres
Paul Wiegler