Korrespondenz 1908 – Verzeichnis
RM an Johannes von Allesch

Lieber Allesch!
Verzeihen Sie, daß ich Ihnen erst heute schreibe, allein gestern erst konnte ich Fräulein Grunewald aufsuchen und Gewißheit über das Ereignis erhalten, das ich bis dahin bloß vermutete. Zu sagen ist nichts vor diesen stumm hinzunehmenden Dingen, aber da es doch eben Dinge sind, die einen an die äußerste Grenze führen, mag es vielleicht gut sein zu spüren, daß man nicht allein ist: ich habe in diesen Tagen viel an Sie gedacht und werde mich freuen, wenn ich Sie wiedersehe.
Ihr
Robert Musil

RM an Johannes von Allesch

Lieber Allesch!
Bis jetzt konnte ich Ihnen noch nichts Genaueres über das Examen schreiben, da ich aus dem Trubel noch nicht hinauskam; auch heute nur in Eile das für Sie Wichtigste.
Meine Fragen waren, so weit ich mich erinnere:
Stumpf: Chronologie von Platons Schriften, zum Teil Echtheitsfrage. Die historische Entwicklung der Raumtheorien (Condillac, Assoziationspsychologie usw.). Heutiger Stand der Frage. Dann gab er mir das Beispiel, daß man durch ein Bild an die dargestellte Person erinnert werde: zu erklären durch die Assoziationsgesetze; warum kommt Assoziation nach Ähnlichkeit nicht in Betracht? Endlich fragte er mich nach seiner, in der Logik gegebenen Einteilung der Urteile.
Riehl: Was ist das gemeinsame Charakteristische von Descartes, Spinoza, Leibniz, Locke? Was ist der logische Typus der mathematischen Urteile? Gedächtnisversuche.
Die Prüfung bei Stumpf war durchaus angenehm, zu bemerken ist nur, daß die raumhistorische Frage über das im Kolleg Vorgetragene hinausgeht, ich konnte mir aber per analogiam so ziemlich das Rechte zusammen konstruieren. Beim heutigen Stand der Frage schnitt er ziemlich energisch ein Exposé zugunsten des Empirismus ab, obwohl ich nur ausgeführt hatte, daß die Sache in suspenso sei.
Die Prüfung bei Rubens ist unangenehm, denn ich wenigstens verstand kein Wort von dem, was er wollte. Auf die erste Frage hätte ich antworten sollen: das Interesse für die Naturphilosophie. – Eine Antwort, die sich bei der wörtlich wiedergegebenen Fragestellung durchaus nicht erraten läßt. Was er mit der zweiten Frage meinte, weiß ich heute noch nicht. Meiner Meinung nach gibt es überhaupt keinen einheitlichen Typus der für die Mathematik relevanten Urteile, er aber weiß einen und ging dann auf die Naturwissenschaft über, die er im Handumdrehen auf Raum und Zeit als „Anschauungsformen“ ausbalancierte. Soviel habe ich mir gemerkt, verstanden habe ich ihn nicht. Die psychologische Frage beantwortete ich gut. Bei den vorigen Fragen beschränkte ich mich aber auf Aufreißen von Augen und Ohren.
Geprüft wird man in der Aula oder im Sitzungszimmer, an kleinen Tischchen je ein Examinator und ein Kandidat. Die Situation ist ganz gemütlich. Die einander ablösenden Examinatoren tauschen abseits ihre Eindrücke aus, nach Stumpf ist die Sache so ziemlich entschieden. Vorher schon nahezu. Denn man ist ganz in der Hand des Prüfenden, der einen fragen kann, was er will. Ich habe den Eindruck, daß man, außer man antwortet exzeptionell gut oder schlecht, dasselbe Prädikat wie auf die Arbeit erhält. Bei mir laudabile.
Sie gehen jetzt wohl bald nach Venedig? Ich nach Brünn zur Waffenübung, komme Anfang Mai nach Berlin zurück. Meine Adresse ist Brünn, Augustinergasse 10., denn meine hiesige Wohnung muß ich aufgeben. (Reise ungefähr am 20. ab). Wenn Sie von Graz weggehen, teilen auch Sie mir bitte die Ihre mit.
Mit herzlichen Grüßen Ihr Freund
Musil

RM an Franz Blei

Sehr geehrter Herr!
Verbindlichsten Dank für das liebenswürdige Erinnerungszeichen. Ich mußte aber leider, – kaum nach dem Examen zu Atem gekommen, – zu einer lange verschobenen Waffenübung einrücken, von der ich erst gegen Mitte Mai loskomme. Soweit ich bis jetzt sehe, ist an ein Arbeiten während dieser Zeit nicht zu denken.
Ich habe aber etwas angefangen, woraus hoffentlich etwas werden wird. Nur muß mich der Herr erst von meinen Übeln erlösen.
Mit der Bitte, mir mein Schicksal nicht übelzunehmen,
Ihr stets ergebener
Robert Musil

RM an Johannes von Allesch

Lieber Allesch!
Ich komme Donnerstag Nachts nach Berlin und wenn es mit dem Auspacken usw. geht, hole ich Sie Freitag Vormittag aus dem Institut ab. Sollte ihrerseits was dawider sein, so bitte ich um Rohrpost bis 11 Uhr Vormittags (Regensburgerstraße 15). Wie geht’s? Sind Sie schon ein Brunnen philosophischer Weisheit? Ich eine bereits wieder ausgetrocknete Zisterne.
Herzlichst Ihr
Robert Musil

RM an Johannes von Allesch

Lieber Allesch!
Ich war, seit Sie von Graz weg sind, leider nicht im Besitz Ihrer Adresse noch der des so meuchlerisch abgereisten Fräulein Grunewalds und konnte daher Ihre freundlichen Ostergrüße nicht erwidern. Meine Waffenübung, die sehr unangenehm war, geht kommenden Freitag zu Ende, einige Tage darauf (vielleicht Montag oder Dienstag) hoffe ich in Berlin zu sein und Sie zu sehen.
Mit herzlichem Gruß
Ihr Musil

RM an Liesl

Liebe Liesl!
Für Bild und Brief herzlichsten Dank. Nach den fünf körperlichen Wochen sind nun wieder die geistigen gekommen und die Arbeit hat mich bereits eingefangen. Leider noch nicht ich meine Arbeit, denn sie flattert mir bloß vor und will sich nicht fassen und ans Papier heften lassen. Stimmung daher wie die einer Katze, die bereits drei Tage lang vor dem Mauseloch sitzt. Warum fragst Du nichts, Liesl?

Liebe Liesl!
Wenn man so eine Arbeit gern fertig hätte und sie will und will nicht, das gibt eine göttliche Stimmung. Und so sitz drei Tage, ich Armer, nun schon wie die Katze vor dem Mauseloch und warte vergebens auf irgend etwas Novellistisches, das da werden soll, weil ich es versprochen habe. Dazu Berlin! Gott, was ist Wien trotz seiner alten räucherigen Häuser doch entzückend gegen diesen Riesenwarenbau. In solcher Wüste also – innerlich und außen – hat mich Dein lieber Willkommensgruß getroffen. Weißt Du, was eine Transplantation ist? Die Mediziner nennen das, wenn ein Mensch ein Stück seiner Haut hergibt, damit es einem anderen an einer wunden Stelle eingesetzt werde. Das wächst dann mit diesem und wird ein Teil von ihm und bleibt doch schließlich auch ein Teil vom Leib des anderen. Für Philosophen, die sich mit dem Problem der Individualität befassen, wäre das eine Magisterfrage. Davon abgesehen ist es aber eine ganz reizvolle Vorstellung. Ich habe damals, als Du so lieb warst, mir aus eigenem zu schreiben, daran gedacht. Denn so steht’s mit Jugendfreundschaften. Man gibt einander irgend ein oberflächliches Stückchen seiner selbst – nur ein Hautstückchen – ein Nichts, ein Wenig, wie man’s um diese Zeit eben zu verschenken vermag. Aber das trägt dann der andere unbewußt mit sich. Und wenn er dann einmal einsam ist, erinnert er sich plötzlich, daß er ja ein Stückchen eines andern lieben Menschen in sich trage, und wenn er zusieht, so ist es mit ihm gewachsen und verwachsen und ist bei allem und jedem in ihm und er ist gar nicht allein … Davon wollte ich Dir etwas sagen, als ich in Wien war. Es erklärt natürlich gar nichts, ist nur Poesie und noch dazu keine besondere (Ich baue vor, falls Du es geschmacklos finden solltest, daß ich glaube, ein Stückchen Deiner Haut in meiner zu tragen).
Versuchen wir es von einer andern Seite. Alles Vergangene erscheint größer als das Gegenwärtige. Es gibt keine Helden mehr wie Siegfried, keine Dichter wie Goethe, keine Maler wie Sanzio. Das ist natürlich nicht wahr, aber es ist schon so, daß man sich stets in die Ferne sehnt, erst nach vorwärts, dann, wenn man da schon zu wenig Raum hat, zurück. Aus dem Helden ins Alltagsleben übersetzt: on revient toujours usw.
Ach Liesl, ich fürchte, es wird doch eine philosophische Abhandlung.
Noch ein Drittes muß ich aber sagen. Du weißt natürlich nicht wie man eine Schwester gern hat, auch nicht wie man einen Bruder gern hat. Denn, das weiß man nur, wenn man keins von beiden hat. Jedenfalls hat man sie gern, wie etwas vor dem es gar keine persönliche Reserve gibt (die man einer Geliebten gegenüber, mit der man eben nicht die lange lange Vergangenheit gemein hat, in der die Haut noch kindlich weich war, nie ganz verliert), weil man zwischen all den Intimitäten der Familie miteinander groß wurde (für die Ehegatten sind das Schwächen, Unreinlichkeiten, für die Kinder Stärken, Entzückendes, so wie eben Wolken am Morgen und Wolken am Abend Verschiedenes sind) und man hat sie bei aller Geschwisterlichkeit doch in einer besondern Weise gern, weil sie eben ein Maderl ist und umgekehrt. Und jetzt ist mir alles eingefallen, wonach ich suchte – vom ersten Briefe an bis zu dem Wiedersehen in Wien. – Die Novellen in Weißkirchen und Wien – in der Dämmerung. Für das Spätere kann ich nicht garantieren. Man soll nicht mit Lügen beginnen – Frauen gingen und gehen – und Du würdest kaum allem folgen können, was meine Seele erfaßt. Macht aber nichts. Schwesterlein will ich haben (kein Brüderlein) und wenn ich Dir hie und da erzählen darf, werde ich Dir sehr dankbar sein und von Dir will ich alles hören.

Liebe Liesl!
Wenn man so eine Arbeit gern fertig hätte und sie will und will nicht, das gibt eine göttliche Stimmung. Und tagelang sitz ich Armer nun schon so wie die Katze vor dem Mauseloch und warte auf irgend etwas Kleines von Erzählung, das da werden soll, weil ich es versprochen habe und nicht wird, weil die Stimmung fehlt. Dazu Berlin! Gott, was ist Wien trotz seiner alten räucherigen Häuser doch entzückend gegen diesen Riesenwarenbau. In solcher Wüste also – innerlich und außen – hat mich dein lieber Willkommgruß getroffen. Und einen großen Bogen Kanzleiformat hatte ich bereits zur Antwort mit meiner Handschrift gefüllt, als er mir plötzlich zu feierlich umständlich erschien und ich ihn zerriß. Es handelte von Dir und mir und war eine gediegene Abhandlung über das ganz besondre Wesen ganz besondrer Freundschaften wie der unsrigen. Ich kam mir dabei vor wie ein Professor, der, über sein Neugeborenes gebeugt, seine Frau zum Wickeln auffordert: man nehme ein Laken von mäßiger Größe, schlage es von der Dorsalseite über die ventrale usw. usw. – Aber so bin ich nun mal manchmal und hätte gerne Dein Gesicht gesehen, wenn Du es gelesen hättest. – Heute aber trage ich nicht die 50 Kilo Hanteln dichterischen Tiefsinns bei mir und vielleicht geht’s drum im Auszug besser. Also höre:
Du weißt natürlich nicht, wie man eine Schwester gern hat, auch nicht, wie man einen Bruder gern hat, denn das weiß man nur, wenn man keins von beiden je gehabt hat. Und es ist ein ganz einziges Ding, das ich zunächst nur von seinem Gegenteil her beschreiben kann. Nämlich, man hat sie nicht in der Art gern wie eine Geliebte oder umgekehrtenfalls einen Geliebten. Worüber man furchtbar froh ist. Denn Liebe – na man sagt ja, wie ein Feuer – ist etwas so Wildes, packt die Menschen, wirbelt sie, schmilzt sie um und läßt sie los. Dann sitzt man da, neugeformt, reicher geformt, blitzblank voll neuer Schönheit, aber jedes für sich nur ein Häufchen Asche, dazwischen ist der Rest der Glut – man kann’s in eine schöne Urne fassen und wenn die Abendsonne ins Zimmer scheint, ein Gedicht darüber machen. Mit der Zeit läßt man sich dann überhaupt nicht so leicht zausen und wird schwerer schmelzbar; die Bereicherung kommt dann auch von andern Seiten und mit der Aschenstimmung ist sie etwas teuer erkauft. Man wird ein bißchen scheu und unzuverlässig, tut einer vielleicht zu unrecht weh und wird dann erst recht schön. Will man aber auch nicht das große betäubende Orchester, so möchte man doch so eine stille, feine, nachdenkliche Melodie. Das ist dann das Lied vom Schwesterlein… eine stille, feine, beständige Melodie, die das Nachdenken nicht stört, sondern trägt, trägt…, daß es doch ganz anders wird, als wenn es so allein und verbissen dahin humpelt… oder bloß mit Freunden geht.
Frauen kamen und gingen und Frauen kommen und gehn; ich will nicht mit einer Lüge anfangen, denn so was lebt dann nicht lange; ich bin recht unbeständig, denn ich kann einfach nicht anders, – von der Notwendigkeit für den Künstler, auf die man sich dabei immer ausreden kann, zu schweigen. Ich finde Beständigkeit eine Kraftvergeudung. Denn es kommt immer der Augenblick, wo einem die vollendetste Frau nichts mehr geben kann, weil man die Schönheiten ihres Geistes und ihres Körpers einfach nicht mehr zu empfinden vermag – man ist von ihnen gesättigt, wie das zwar nicht schöne, aber gute Bild sagt. Ein dummes Ding von Mädel, das nach Kernseife riecht, kann einem danach wie ein frischgewaschener Himmel vorkommen. – Die Ehe täuscht darüber nur hinweg. – Also, Frauen kommen und gehn. – Aber wenn ich so nachdenk. Wozu also, frag ich, wenn sich zwei ins Gras legen wollen, immer gleich ein Haus darum bauen, das „wie ein Bollwerk Jahrhunderten trotzen“ soll? Ich finde diese Art von Erotik selbstmörderisch. Übrigens mag sie meinetwegen im allgemeinen gut sein – ich will jetzt nicht Moral deduzieren, sondern Dir von mir erzählen – ich für meine Person suche die Wege, die von diesen eingefriedeten Pfaden etwas abseits liegen. – Ich weiß nicht Liesl, wie wir zueinander noch stehen werden, es gibt so viele Schattierungen, für die die Menschen gar keine Namen haben, weil sie nur flammendes Licht und gleichgültigen Schatten kennen, – und eine davon wird’s wohl sein. Irgend eine, die wir für einander erfinden werden – aber lassen wir das für heute – schreibe mir von Dir – was Du willst, was Dich interessiert oder Dir manchmal das Herz schwer macht. Ich habe das nur gesagt, weil ich es so schön finde, daß ich Dich küssen durfte, obwohl wir uns so lange nicht sahen und kaum wieder kennen gelernt hatten, und gerade deswegen, weil wir uns gern haben, ohne nachzudenken und wie aus alter Gewohnheit. Liebe ist ein Parvenu dagegen – Schwesterlein. Und weil mir darüber das mit dem Schwesterlein einfiel:
Schreibe mir, was du dreimal von mir geträumt hast.

Und so könnte ich Dir noch manches von einem geheimen Leben erzählen, das wir miteinander führten. Es ist fast, daß man es nicht versteht, denn es ist fremd, wenn man nicht gerade irgendwie an Stellen zusammenhinge, wo es am tiefsten ist, in den wichtigsten, seelischsten Augenblicken, plötzlich einander wieder gegenüberstand.
Ich kann heute nicht mehr schreiben, es ist schwer… Übrigens wollte ich noch sagen, daß gerade dies das Geschwistermotiv ist; eine sehr nachdenkliche Musik, von eigentümlich müder Schwere.
Schreibe mir bald und vielleicht schreibst Du mir…

RM an Clotilde

Liebes Fräulein Clotilde!
Dr. Kerr, dessen Rat ich Ihretwegen einholen wollte, ist leider verreist, ich war mehrmals vergeblich bei ihm und auf eine telephonische Anfrage bei der Redaktion erhielt ich die Antwort, daß seine Rückkehr ganz unbestimmt sei; da leider auch kein Mensch seinen Aufenthalt kennt, bin ich nun am Ende und es tut mit nur leid, daß ich Sie darauf so lange warten lassen mußte.
Was mein zweites Versprechen betrifft: das große Werk ist von Erk & Böhme und heißt Deutsche Volkslieder, ein kleineres, sehr empfehlenswertes soll von Liliencron sein, Deutsche Volkslieder des 15. Jahrhunderts (doch ohne Begleitung). –
Werden Sie nun trotzdem hieherkommen? Ich würde mich sehr freuen und wünsche Ihnen Energie und der Energie den Erfolg!
In alter Ergebenheit
Ihr

Ach sagen Sie doch bitte Leutnant R., daß ich sehr indigniert über ihn bin.

RM an Johannes von Allesch

Lieber Allesch!
Der Brief geht also nicht ab, aber Laura ist sehr gekränkt. So dürfe man mit einer Dame nicht sprechen, so etwas dürfe man nicht sagen. Recht hätte sie ja, wenn die Bedingung erfüllt wäre, aber daß sie es nicht ist, kann man ihr leider nicht sagen. Ich sattelte also das Lämmchen Freundschaft; unter Freunden ist aufrichtige Aussprache erlaubt und dergleichen. Ferner sagte ich ihr, daß Sie mit den Verstößen gegen die „Form“ Unliebenswürdigkeiten meinten, erklärte ihr auch die Geschichte mit dem Kaffee, sagte ihr, daß es zur Form gehört, daß eine Hausfrau liebenswürdig sei und dergleichen. Von ihren sonstigen Verstößen bei Tisch schwieg ich. Warum sie sich so über die „Form“ kränkt, weiß ich nicht, sie versteht unter diesem Vorwurf irgendetwas Ungeheuerliches, was unseren Gehirnen unzugänglich ist.
Item der Brief unterbleibt, nur sie will sich morgen nach Tisch mit Ihnen aussprechen. Seien Sie, bitte, Butter und Honig zu gleichen Teilen, rechnen Sie, bitte, mit einer gekränkten Frauenehre, halten Sie ihr, bitte, nicht das ganze Sündenregister vor, denn das versteht sie nicht, sagen Sie ihr, bitte, daß Sie sie nicht kränken wollten (denn das kann man auch sagen, nachdem man jemand Esel genannt hat), sondern nur freundschaftlichst Ihre Meinung sagen. Richtig, ich erwähnte noch, daß Ihnen eben an ihr vieles sympathisch sei und vieles unsym{{Br 1 61}}pathisch, daß Sie aber nie so heftig gewesen wären und sich so eingehend eingelassen hätten, wenn nicht aus Sympathie. (Ohrfeigen Sie mich!)
Und nehmen Sie sie so humoristisch, wie sie es verdient; ernstnehmen kann man sie wirklich nicht, dafür zeugte mir wieder die heutige zwischen Tränen und Empörung schwankende Aussprache.
Herzlichst – ich lege mein Glück in Deine Mörderhände – Ihr
Robert Musil

an Familie Titze

Das für leider nur kurze Zeit vereinte Kleeblatt sendet euch allen die innigsten Glückwünsche mit der Versicherung treuer Zusammengehörigkeit.
In Freundschaft und Verehrung, herzlichen Gruß und Handkuß
Alfred, Hermine,
Robert

an Alexius Meinong

Euer Hochwohlgeboren, sehr geehrter Herr Professor!
Mein Vetter Dr. Schuch teilte mir mit, daß Herr Professor, gelegentlich der Besetzung der Grazer Assistentenstelle, mich durch Ihr wohlwollendes Interesse ausgezeichnet haben. – Da ich augenblicklich wegen einer mir unter sehr günstigen Umständen in Aussicht gestellten Habilitation an der technischen Hochschule in München in Briefwechsel stehe, bitte ich Euer Hochwohlgeboren, meiner Antwort einen Aufschub von wenigen Tagen zu gewähren. –
Mit der Versicherung, daß ich es als einen hohen Gewinn betrachten würde, sollten die Umstände mir erlauben, unter Ihrer Leitung in Graz zu arbeiten, und mit meinem aufrichtigsten Dank für die Eröffnung dieser Aussicht bleibe ich in ausgezeichneter Hochachtung Euer Hochwohlgeboren ergebener
Dr. Robert Musil